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Nomadenleben

Ich schlage die Augen auf und sehe den Himmel durch die Vorschiffsluke. Den sanften Windhauch, der durchs löchrige Moskitonetz rauscht gilt es zu geniessen, denn bald wird er wieder von der unerbittlich vom Himmel sengenden Sonne abgelöst.
Der Kleinkrawallo hat von draußen einen Platsch vernommen und stürmt durch den Niedergang Richtung Badeplattform.
Behaarte Synchronschwimmerbeinchen, die in unsere Richtung aus dem Wasser gucken, entlarven Herrn Krawallos Anwesenheit. Platsch zwei und drei und wir treffen uns zwischen den Wellen. Morgenritual.

Ganze fünf Wochen besteht unser Leben aus Reduktion, die sich gar nicht als solche anfühlt. Denn obwohl wir auf viele Dinge des alltäglichen Lebens Zuhause verzichten, fühlen wir uns vor allem bereichert durch diese Art zu leben.

Im letzten Frühjahr hat sich ein großer Traum erfüllt. Wir sind nun, gemeinsam mit Co-Eigner Wolfgang, Besitzer eines eigenen kleinen Segelboots. Golden Lady, heißt unser kleiner 9m langer „Kielschrank“ – ein begehbarer Schrank mit Mast und Segeln, der uns eine neue Dimension des Reisens eröffnet.

Einige Zeit schon sind der Herr Krawallo und ich aufs Segeln gekommen, haben die letzten Jahre immer wieder schöne Törns auf Charterbooten verbracht. Was immer blieb war die Sehnsucht nach Entschleunigung. Sich richtig Zeit nehmen zu können. Um schöne Plätze zu erforschen, um im Seelentempo zu reisen, um auch mal bleiben zu können. All diese Dinge sind oft im Charterrhythmus kaum möglich.

Anfang des Sommers flogen also Mario und Wolfgang nach Lefkas, Griechenland, um unsere alte, güldene Dame in ihr vorläufiges Segelrevier zu überstellen. Die Passage um Albanien bietet weniger Zufluchtsmöglichkeiten bei turbulentem Wetter und erfordert teils relativ lange Schläge (Tagesetappen). Ein perfektes Unterfangen für die beiden Männer, das Boot kennenzulernen.

Der Kleinkrawallo und ich blieben vorerst zurück, absolvierten brav und ungeduldig die letzten Tage in der Arbeit und im Kindergarten. Immer mit einem Blick auf die Wettervorhersagen und den Nachrichteneingang am Handy.

Knapp 9 Tage später wars dann auch für uns so weit. In Bar, Montenegro, verabschiedeten wir Wolfgang und machten uns auf in unser bisher längstes Segelabenteuer als Familie.

Knappe 5 Wochen, voller Salzwasser, Wellen, Wind, wunderschönen Erfahrungen und sensationellen Eindrücken liegen hinter uns.

Über 350 Seemeilen haben wir uns gemütlich vom tiefen Süden in die Nordadria hochgesegelt, haben Delfine beobachtet, den Meeresgrund erschnorchelt, Seekrankheit, Hitzekollaps und Tiefdruckgebiete abgewettert, kulinarische Highlights erlebt, Motorprobleme überbrückt, einen Piratenschatz gehoben, Sternbilder bestimmt, der ISS beim Vorbeifliegen zugewunken, eine Flaschenpost verschickt, schwimmen gelernt, Menschen wiedergesehen und neu kennengelernt.

Viele neue Plätze durften wir erwandern und doch mussten wir immer viel zu schnell weiter. Der Zeitbegriff hat sich verändert. Und selbst im bereits entschleunigten Modus gabs noch weit mehr Potential einen Gang runter zu schalten.

Wie unfassbar stressig ist doch das Alltagstempo zuhause?! Wie wenig Zeit bleibt in dem ganzen Trubel für die wichtigen Dinge des Lebens. Fürs Gemeinsam sein, für Seelenbaumlerei, fürs Spielen, fürs Rasten. Menschen die aufs Meer starren… oder auf den Mond bei einer atemberaubenden partiellen Mondfinsternis.

Der Kleinkrawallo hat sich in der Zeit unglaublich weiterentwickelt. Hat so viele neue Dinge gelernt, hinterfragt, ist über sich hinausgewachsen und hatte Spaß daran Neues zu probieren. Unglaublich, was ein 5jähriger so alles erfassen und lernen kann. Er war ein wichtiges, umsichtiges Crewmitglied, das uns in vielen Situationen verblüfft und auch stark unterstützt hat. Schon nach kurzer Zeit war er an Bord zuhause und konnte sich auch dementsprechend schwer wieder davon verabschieden. Wann hat man als Familie auch schon im Alltag so viel Zeit für sich. Ohne Zwischenrufe, ohne Verpflichtungen.

Wir haben so Vieles mitgenommen aus der Zeit auf See. Die Puddingsucht, die Sehnsucht nach viel mehr Leben in der Natur, ein großes Schmunzeln wenn wir an Situationen wie die Schafsrettungsaktion in Ilovik denken, bei der wir eventuell einem Schafsbock zu seiner schönsten romantischsten Nacht verholfen haben.

Eventuell ist die eine oder andere Episode ja wirklich noch einen eigenen Post Wert. Wenn es euch denn interessiert.

Golden Lady, wir vermissen dich, das Meer, die Möwen und die Weite.
Wir kommen wieder!
Ganz bald.Versprochen.

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